Wir sind umstellt von Programmen. Auch Spezialist*innen haben nur bedingt Einblick in das, was uns im Einzelnen − eine neue Qualität des Vorurteilens − vorkodiert wird. In regelmäßigen Abständen taucht der Begriff homo ludens auf und die Hochkonjunktur des Kreativen macht uns glauben, alle Zukunft liege im Spielen. So stürzen wir uns auf die Oberflächen der Programme, die unseren Spieltrieb bedienen. Wir applizieren unseren Tagesablauf mit Anwendungen [Apps] und ergeben uns Kurgästen gleich in die strukturellen Vorgaben und Ausführungen, die wir uns mit dem Ergreifen von Gelegenheiten gegenseitig nahelegen.
Reprise stellt Hard- und Softwareelemente zur Verfügung, die zwar Verknüpfungen nahelegen, jedoch nicht ausführen. Hier werden Sie nicht einfach informiert. Nichts geschieht hier, solange Sie sich nicht selbst in-formieren! Regulieren Sie nicht einfach nur ihren Konsum, diskutieren Sie die Regeln!
Die Applikationen
Das Spiel startet in der Galerie xpon-art, Repsoldstrasse 45 in 20097 Hamburg mit der Ausstellung an...setzen am 5. Februar 2015 und dient der Unterstützung der Gespräche, die über das jeweilige Thema und Ereignis geführt werden.
Die in der Galerie ausgestellten Werke stehen als Verknüpfungen via Titel- und Künstler*innen-Verzeichnis auch im Spielraum zur Verfügung. Neue Ausstellung, neue Elemente.
Der Essay kann als ergebnisoffene literarische Form begriffen werden. So auch dieses Angebot. Ein konkretes Regelwerk ist anhand der bereitgestellten Elemente unter den Spieler*innen zu verhandeln. Wer der Vermutung eines versteckten Regelwerks nachgibt, ist bereits im Spiel.
Ob sich die Spielführung anhand der bereitgestellten Elemente an Sieg und Niederlage orientiert, oder an der Qualität der Gespräche, die auf Basis eines auszuhandelnden Regelwerks entstehen, liegt in der Verantwortung der Spielgemeinschaft.
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Selbstredend bleiben auch diese Internetseiten dynamisch und werden − auf Basis des Entwurfs zum Zeitpunkt der ersten Aufstellung der jeweiligen Objekte − regelmäßig von Ungereimtheiten befreit, ergänzt oder komplett umgeschrieben ...
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Alle Spiele des Projekts standen während des Projekts jederzeit zugänglich in der Galerie bereit, um Vergangenes aus dem Galerieprogramm spielend zu vergegenwärtigen. Die Präsentationsformen vergangener Spieleinheiten im Stile eines "Handtaschenfachgeschäfts" oder als Garderobe abgelegter Erfahrungsschätze erfreut womöglich den Touristen oder diejenigen, die selbst sich Zeit nehmen "abzulegen" und etwas Zeit dort zu verbringen ...
... und: googeln Sie doch mal Die App-Schalter [ sind Trendsetter ] ...
... ein Herr namens Schiller: ... der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.
Mit allen dir zur Verfügung stehenden Sinnen arbeitest Du dich in die Umstände ein. Ein Spiel stellt so gesehen eine auf Zeit konzipierte Welt vor: Umstände und Regelwerke sind vorinstalliert − und rückschlüssig mit etwas Fantasie betrachtet stecken in jeder räumlichen Anordnung Angebote für spielerisches Verhalten. So lässt sich praktisch jede einmal als Muster ausgemachte Umgebung auch als Spielraum nutzen und mit Bedeutungen zur Erstellung von Regeln aufladen.
Jeder Kunstgegenstand ist potentiell so eine Spielfläche. Neben mehr oder weniger offiziellen Deutungen und Gebrauchsmustern, mit denen Ersteller wie Publikum spekulieren, spielt wohl jeder Betrachter immer auch insgeheim an eigenen "Verwertbarkeiten" herum. Warum also nicht gleich "offiziell" eine Spielfläche draus machen? Mit dem Begriff Kunstwollen − heute eher plakatives Diktat als Diskursgegenstand − wurde u.a. der unbedingte Wunsch nach Gestaltung der eigenen Umwelt rehabilitiert ... mitspielen also.
zusammen ... gegeneinander
Das ist zusammengefasst die übliche Devise, die Spielen zu einem Sonderfall macht: Paradox des Ernstfalls. Im restlichen Tierreich verhält es sich nicht anders: Um anzuzeigen, dass jetzt gespielt werden soll, werden ansonsten eindeutige Gesten der Freundlichkeit, Unterwerfung, Dominanz, Aggression gleichzeitig lustig durcheinander gewürfelt und ergeben die klare Ansage: Alles ist erlaubt, aber nichts gilt für den "Alltag". Ein feiner Einfall, das eigene Erbgut auszutricksen − um ihm schließlich durch ausgiebige Spiel-Übungen umso besser nachkommen zu können!
Wenn wir spielen, dann in einer "gesicherten" Gemeinschaft (oder was wir dafür halten). Die Konjunktur des Kreativen macht uns glauben, wir befänden uns in einer globalen Gemeinschaft, die für uns alle zur Bespielung verfügbar ist. Dass unser Spieltrieb auch für gänzlich andere Interessen nutzbar ist, blenden wir gerne aus ... die Neugier, die Neugier.
Der Kapitalismus baut seinen "Erfolg", seine Dominanz, auf dem Modell, alles für das freie Spiel der Kräfte freizugeben. Was sollen wir davon halten? Alles nur Theater oder was? Für Volksgruppen würde man sagen: Sie haben ihre Identität gefunden. Doch Gesellschaft ist nicht Gemeinschaft. Und die globale Gesellschaft, wenn es sie denn gäbe, homo ludens ...
Die Spielwissenschaft nennt Fachbegriffe wie
→ Ludus, → Agon, → Alea, → Mimikri, → Ilinx → Circenses
und beginnt im Zuge aktueller Spieleproduktion in einer mehr und mehr nur noch symbolisch agierenden Gesellschaft mit neuer Theoriebildung.
... z.B. die GNS-Theorie
Offene (Rollen)Spiele erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, denn sie orientieren sich nicht an starren Regeln. Ein gewisser Ron Edwards hat anhand seines Spiels sorcerer ein Theorie versucht, die sich in drei Vorlieben gliedert: Das leistungsbezogene, das thematisch erzählende und das erlebnisorientierte Spielen: Gamism, Narrativism, Simulationism. Eigen ist allen drei Typisierungen, dass eine plotfähige Kulisse von Nöten ist, um eine Creative Agenda zu entwickeln.
Das Environment für einen möglichen Plot ist in unseren "Fällen" bereits als jurierte Ausstellung der xpon-Galerie gesetzt. Auch die Charaktere (die Künstler*innen) sind bereits im "Angebot", ebenso die Diskussionsansätze in Form von "Werken". Wohin das Spiel letztlich "läuft", entscheidet jetzt die Spielgemeinschaft.
Eine ähnliche Typisierung, die sich nicht auf den Plot, sondern auf die Spielercharaktere direkt bezieht, gibt ein Glenn Blacow 1980. Er unterscheidet "Powergamer", "Wargamer", "Role-Player" und "Storyteller". Hier wird deutlich, wie sehr unser Begriff vom Spielen noch in den Kinderschuhen steckt. Alles was nicht war oder power ist, muss sich ins Reich der Rollenspieler und Märchenerzähler flüchten. Für sie hat sich der Begriff german games etabliert und meint nichts anderes als Autorenspiele − im Gegensatz zur angloamerikanischen Vorliebe für CoSims (Konfliktsimulationsspiele). Merkmale eines Autorenspiels sind (idealiter) Gewaltverzicht, niemand soll vorzeitig des Feldes verweisen werden, Kommunikation und Interaktion zws. den Teilnehmer*innen und hochwertige Ausführung der Hardware.
... mehr unter Spielwissenschaft und Ludologie ... zur Einstimmung einige Fußnoten aus de.wikipedia.org:
Die Kraftüberschuss-Theorie (Herbert Spencer 1865) legt dem Spielbedürfnis ein Übermaß an physischer und psychischer Energie zugrunde, das nach Betätigung drängt.
Die Arbeitserholungs-Theorie (Moritz Lazarus 1883) stellt das Verlangen, sich nach mühseliger Arbeit zu regenerieren, in den Vordergrund.
Die Einübungs-Theorie (Karl Groos 1899) sieht das Training elementarer Überlebenstechniken bei Mensch und Tier als wesentlichen Ausgangsimpuls für das Spielen.
Die Angstabwehr-Theorie (Sigmund Freud 1901) schreibt den Selbstheilungskräften beim Ausspielen angstauslösender Situationen eine wichtige Rolle zu.
Die Wirklichkeitsflucht-Theorie (Sigmund Freud 1903) nennt das Einnehmen einer Tarnrolle (als Clown oder Fantasieheld) als Motiv, der ernüchternden Realität zu entfliehen.
Die Trieb-Theorie (Frederik Jacobus Johannes Buytendijk 1933) favorisiert das Triebsystem von Mensch und Tier (Spieltrieb, Bewegungstrieb, Gesellungstrieb) als treibende Kraft.
Die Kulturschaffungs-Theorie (Johan Huizinga 1938) geht davon aus, dass alle bedeutenden kulturellen Errungenschaften (Philosophie, Dichtung, Kunst, Wissenschaft) letztlich aus dem Spiel erwachsen.
Die Umwelterfassungs-Theorie (Irenäus Eibl-Eibesfeldt 1969) weist dem Neugierverhalten die entscheidende Bedeutung zu.
Die Kognitions-Theorie (Jean Piaget 1975) interpretiert das Spielen als Ausfluss der Intelligenzentwicklung der verschiedenen Lebensphasen.
Die Dialektik-Theorie (Brian Sutton-Smith 1978) bezeichnet das Spielen als Korrespondenz zwischen "adaptivem" (aufnehmendem) und "innovativem" (kreativem) Umgang mit Umweltgegebenheiten.
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